Energiezellensysteme

von Herbert Saurugg, M.Sc.

Der Umstieg auf eine nachhaltige Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen zählt zweifelsohne zu einer der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit. Doch die Tragweite ist selten bewusst, denn es geht längst nicht nur um den Ersatz einer Energieträgerform, sondern um einen sehr weitreichenden Systemumbau. Die Energiewende bedeutet daher nicht nur eine Technikwende, sondern vor allem eine Kulturwende.

Um die Gefahr eines Blackouts zu reduzieren und die Robustheit des Gesamtsystems zu erhöhen, bedarf es eines entsprechenden Systemdesigns. Hier können wir auf die Entwicklungsgeschichte in der Natur zurückgreifen, wo alles Lebendige in zellulären Strukturen organisiert ist. Das hat sich in der Evolution bewährt und überlebt. Zudem wissen wir, dass sich komplexe Systeme nur mit dezentralen, autonomen Einheiten stabil organisieren lassen. Daher brauchen wir für eine erfolgreiche Energiewende ein Energiezellensystem. Auch das ist nicht völlig neu, gab es doch bisher auch Balancegruppen. Diese wurden aber zunehmend mehr den Marktinteressen geopfert, so dass die technische Systemsicherheit immer mehr in den Hintergrund rückte. Die neue Erzeugungslandschaft erfordert zudem auch eine neue angepasste Struktur.

Der Fokus liegt derzeit vor allem auf dem Stromversorgungssystem, obwohl der Stromverbrauch nur etwa ein Viertel des Gesamtenergieverbrauches ausmacht. Verkehr, Industrie und Heizen sind andere große Brocken, wo die Energiewende noch nicht einmal richtig begonnen hat.

Aber auch in der Stromversorgung erfolgt nur eine sehr einseitige Betrachtung: Es geht hauptsächlich um Kohle- und Kernkraftwerke versus Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Der bisherige Erfolg verdeckt, dass die Energiewende so nicht weiter skaliert werden kann. Denn ein System ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Und Erzeugungsanlagen sind nur ein Teil des Stromversorgungssystems. Das europäische Verbundsystem wurde für einfach berechenbare und steuerbare Großkraftwerke errichtet und sehr erfolgreich betrieben. Der Umstieg auf Erneuerbare Energie-Anlagen führt jedoch dazu, dass nun statt ein paar Tausend Großkraftwerken plötzlich Millionen Kleinkraftwerke notwendig sind. Diese haben noch dazu eine völlig andere Erzeugungscharakteristik.

Während bei fossilen Energieträgern die Energie in den Ausgangssubstanzen (Stein- / Braunkohle, Erdgas, Erdöl, Uran / Plutonium = Primärenergie) gespeichert ist, fehlt diese Bevorratung bei Wind und Sonne. Zudem verhalten sich diese äußerst volatil, das heißt, sie stehen nicht immer und dann auch nur mit einer sehr unterschiedlichen Intensität zur Verfügung. Hinzu kommen zeitweise auch ganz erhebliche Abweichungen von den Prognosen, was immer aufwändigere Maßnahmen erfordert, um die Systemstabilität zu gewährleisten.

Auch wenn immer wieder neue Spitzenwerte an erneuerbarer Stromproduktion verzeichnet werden, zeigt die ganze Betrachtung doch auch erhebliche Lücken. Daher sind Durchschnittswerte wenig hilfreich. Denn die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch muss in jedem Augenblick ausgeglichen sein. Ansonst kollabiert das System.

Wie sich daraus auch ableiten lässt, braucht es nicht nur neue Erzeugungsanlagen, sondern auch umfangreiche Backup-Systeme als Energiespeicher / -puffer. Und zwar über mehrere Zeiteinheiten, von saisonal bis immanent. Die Erzeugungsanlagen stehen zudem häufig nicht dort, wo die bisherigen Großkraftwerke standen bzw. wo die Verbraucher sind. Daher sind auch neue Leitungsstrukturen erforderlich. Und zwar nicht nur, wie häufig angenommen wird, auf der Höchstspannungsebene, sondern auch auf unterster Ebene in den Verteilnetzen.

Damit werden nur ansatzweise die enormen Herausforderungen der Energiewende klar. Doch bisher konzentrieren sich die meisten Bemühungen hauptsächlich auf den Ausbau der Erzeugungsanlagen, was deutlich zu kurz greift. Das hat im bisherigen Großsystem auch gut funktioniert. Jedoch stehen wir vor einem Kipppunkt. Es reicht eben nicht, nur ein Systemelement auszutauschen. Es muss ein ganzheitlicher Systemumbau erfolgen. Was bisher nur ansatzweise passiert. Zudem muss dieser im laufenden Betrieb erfolgen, ohne dabei das Gesamtsystem zu gefährden. Das kann nur durch dezentrale, autonome Einheiten gelingen, die „bottom-up“ zur Robustheit beitragen.


Herbert Saurugg, Major a. D., ist Internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), auf deren Internetseite https://www.gfkv.at/ sich auch nähere Informationen zum Thema finden.