Transitströme

Im vorletzten Artikel wurde die Erlösobergrenze von Netzbetreibern im Zusammenhang mit ihrer Kalkulation von Netzkosten und -erlösen angesprochen. Ein indirekter Einflussfaktor in Form der sogenannten Transitströme soll in diesem Beitrag am Beispiel der Wechselwirkungen zwischen vorgelagertem Transport- und nachgelagertem Verteilnetz beschrieben werden.

Bei bestimmten Schalthandlungen in seinem Transportnetz durch den zuständigen Übertragungsnetzbetreiber beispielweise aufgrund von Störungen, Reparatur-, Wartungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen auf der Höchstspannungsebene können bei entsprechender Netzkonstellation zusätzliche physikalische Stromflüsse im nachgelagerten Versorgungsnetz auftreten. Diese elektrischen Ströme werden als Transitströme bezeichnet und treten in der Regel unter den verschiedenen Netzknoten (vgl. auch Artikel „Grenzkapazitäten“) zwischen dem vorgelagerten Übertragungs- und dem nachgelagerten Verteilnetz (Netznutzer) auf, wenn innerhalb des zeitgleichen Messintervalls der Lastgangzählung dieselbe Energiemenge aus einer Entnahmestelle entnommen und zumindest teilweise über eine andere, galvanisch verbundene Entnahmestelle abgegeben wird (§ 17 StromNEV). Netztechnisch gesehen führen derartige Transitströme zwar zu einer temporären Entlastung des Übertragungsnetzes, belasten demgegenüber jedoch nicht nur das betroffene Verteilnetz, sondern ziehen dort auch entsprechende Kosten nach sich.

Zum Beispiel fließen in einer idealisierten Betrachtung über den Netzkopplungspunkt A 5 MW in das nachgelagerte Netz und gleichzeitig die gleiche Leistung in Höhe von ebenfalls 5 MW über den Netzkopplungspunkt B wieder zurück ins vorgelagerte Netz. Beide Transitströme besitzen die gleiche Leistung, jedoch aufgrund der unterschiedlichen Flussrichtung verschiedene Vorzeichen. Durch die Addition bzw. Saldierung von Entnahme und Bezug (im Sinne einer Einspeisung) ergibt sich als klassischer Durchläufer somit eine Leistung von 0 MW. Dennoch entstehen dem betroffenen nachgelagerten Netzbetreiber durch den physikalischen Stromfluss infolge der ungewollten Entnahme über die Entnahmestelle A zum einen vorgelagerte Netzkosten (vNK) und zum anderen durch den ungewollten Bezug abzüglich der auftretenden Netzverluste über die Entnahmestelle B als Rückspeisung ins Transportnetz gemäß § 18 Abs. 1 StromNEV (außer HöSp) vermiedene Netznutzungsentgelte (vNE), die vom Verteilnetzbetreiber erlösmindernd anzusetzen sind.

Ein Vorzeichenwechsel der Transitleistung bedeutet somit eine Umkehr der Flussrichtung, was eine physikalische Rückspeisung von Strom im Sinne einer dezentralen Erzeugungsleistung ins vorgelagerte Netz nach sich zieht (Vermeidungsarbeit bzw. -leistung). Im vorgenannten Beispiel tritt ein Vorzeichenwechsel und damit eine Umkehr der Flussrichtung ein (Rückspeisung). Dies ist jedoch in Abhängigkeit von den jeweils vorliegenden Rahmenbedingungen nicht immer der Fall. Bezieht ein nachgelagerter Netzbetreiber aus dem vorgelagerten Netz planmäßig Energie, und treten zwischen den von dieser Entnahme betroffenen Kuppelstellen zeitgleich außerplanmäßig Transitströme auf, so muss es nicht zwangsläufig zu einer quasi-dezentralen Einspeisung oder Nullsumme kommen. Werden am Netzknoten A beispielsweise 10 MW und am Netzknoten B 1 MW aus dem vorgelagerten Netz entnommen, und beträgt ein im vorgelagerten Netz durch Schaltungsmaßnahmen ausgelöster Transit von Netzknoten A zu Netzknoten B 5 MW, reduziert sich der Bezug am Netzknoten A auf 5 MW, während sich die Entnahme am Netzknoten B auf 6 MW erhöht. An beiden Übergabestellen hat somit keine Umkehr des Vorzeichens bzw. der Flussrichtung des Stroms stattgefunden.

Ein solches Auftreten von Transitströmen im eigenen Versorgungsnetz bedeutet grundsätzlich stets eine monetäre Schlechterstellung gegenüber einem Netzbetreiber ohne Transitproblematik. Sind die verschiedenen Netzkuppelstellen des nachgelagerten Netzbetreibers Bestandteil eines Netzknotens (z. B. Umspannwerke, -stationen oder Schaltanlagen), so können diese über eine zeitgleiche und vorzeichengerechte Addition (Saldierung) der Bezugsleistung an einer Entnahmestelle und der Rückspeiseleistung an einer anderen Kuppelstelle gepoolt werden. Dies ist bei Transitströmen jedoch in der Regel nicht der Fall, so dass hier aufgrund des (Transit-)Stromflusses zwischen verschiedenen Netzknoten lediglich eine zeit- und richtungs- bzw. vorzeichengleiche Addition und somit kein Pooling erfolgen kann. Ursache, Höhe und Zeitpunkt des Auftretens von Transitströmen sind in der betrieblichen Praxis daher nur schwer bzw. mit großem Aufwand nachvollziehbar, so dass sich bei rechnerisch ermittelten Größen wie zum Beispiel der Jahreshöchstlast auf Basis eines viertelstündlichen Jahreslastgangs eines transitbehafteten Stromnetzes stets eine Unschärfe durch die darin enthaltenen Transitströme ergibt (Bildquelle: PxHere).