Im vorigen Artikel „Energiepreisbremse“ wurden gesetzliche Maßnahmen vorgestellt, mit denen der Staat die Verbraucher von Strom, Gas und Wärme angesichts der steigenden Energiepreise finanziell entlasten will. Diese Subventionierung soll unter anderem durch die Abschöpfung jener Übergewinne von Energiekonzernen finanziert werden, die es ohne die Energiekrise nicht gegeben hätte.
In der Folge des Ukraine-Konflikts haben sich die russischen Gaslieferungen nach Europa stark reduziert, so dass sich die europäischen Erdgaspreise durch diese Verknappung entsprechend vervielfacht haben. Dadurch haben Gaskraftwerke nun die höchsten Produktionskosten, während andere Energieträger wie Braunkohle, Öl und Erneuerbare (z. B. Wind- und Solarkraft) durch den mit dem Erdgas ansteigenden Strompreis nach dem auf dem Energiemarkt geltenden Grenzkostenprinzip (commodityspezifische Reihenfolge der marktwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit der verfügbaren Kraftwerksleistung, engl.: Merit Order) deutlich günstiger sind. Bestimmte Stromerzeuger erzielen durch diese unerwartet eingetretene Konstellation unverhofft hohe Gewinne, die ohne die vorgenannte unvorhersehbare Gasverknappung nicht möglich gewesen wären.
Daher hat die EU-Kommission nach einem Eilauftrag der europäischen Energieminister vorgeschlagen, derartige durch die Energiekrise entstandene Zufallserlöse auf dem Elektrizitätsmarkt von den betreffenden Stromproduzenten über eine Notfallverordnung abzuschöpfen. Angesichts der immer weiter steigenden Stromkosten sollen dadurch Haushalte, Gewerbe und Industrie in den Mitgliedsstaaten finanziell entlastet werden, indem diese Mehrgewinne von Stromerzeugern und Minerälölkonzernen zur monetären Entlastung der Verbraucher umverteilt werden.
Zur Deckelung der übermäßig hohen Erlöse wurde beschlossen, dass Einnahmen am Strommarkt von über 180 Euro pro Megawattstunde nach Abzug einer marktwirtschaftlichen Anreizprämie von 10% sowie eines Sicherheitszuschlags zugunsten der betroffenen Unternehmen in einer brennstoffabhängigen Höhe von ≥ 3 ct/kWh an den Staat abgeführt werden müssen. Diese Preisgrenze wurde unter Berücksichtigung der typischen variablen und fixen Kosten der Stromerzeugung als technologiespezifischer Referenzwert ermittelt und festgelegt.
Durch diese Begrenzung fallen laut Kommission über alle Energieträger europaweit rund 140 Mrd. Euro an, die in Form einer Solidarabgabe als Maßnahme gegen die hohen Energiepreise eingesetzt werden sollen. Die Deckelung gilt für sämtliche Abfallverbrennungsanlagen, Kernkraftwerke, Braunkohlekraftwerke und Stromerzeugunganlagen zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen (Marktprämienmodell / Direktvermarktung, EEG-Förderung, Power Purchase Agreement (PPA)) sowie zur Verwertung von Raffinerierückständen mit einer installierten Leistung von mehr als 1 MW el. Nicht betroffen von der Regelung sind hingegen bestimmte Speicher, Steinkohle-, Erdgas-, Heizölkraftwerke, Biomethan-Anlagen sowie Industrieanlagen zur Verwertung von in Produktionsprozessen der Chemie- und Rußindustrie anfallenden Sondergasen wie zum Beispiel Gicht-, Konverter-, Hochofen- oder Kokereigas. Eine Gewinnabführung, die dann den Endverbrauchern über ihre Stromabrechnung gutgeschrieben werden soll, erfolgt nur für die tatsächlich produzierten bzw. in das öffentliche Versorgungsnetz (also keine Erzeugung zur Eigenbedarfsdeckung) eingespeisten Strommengen.
Die Abschöpfung der Zusatzgewinne von Energiekonzernen zugunsten von Haushalten und anderen Unternehmen hat am 01. Dezember 2022 begonnen und ist zunächst bis zum 30. Juni 2023, höchstens jedoch bis zum 30. April 2024, befristet. Rechtliche Grundlage für diese Umverteilungsmaßnahme zur gemeinsamen Bewältigung der Energiepreiskrise ist die EU-Verordnung 2022/1854 vom 06. Oktober 2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Strom- und Brennstoffpreis. Dadurch soll die weitere Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse neben dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds, dessen Höhe von der Bundesregierung zur Bekämpfung der Energiepreiskrise auf 200 Mrd. € festgelegt wurde, gesichert werden (Bildquelle: Jan Tomaschoff).