von Herbert Saurugg, M.Sc.
Der Begriff „Resilienz“ kommt ursprünglich aus den Materialwissenschaften, wo er so viel wie, das Werkstück kehrt nach starken Verformungen wieder in seinen Ausgangszustand zurück, bedeutet. Auch in der Psychologie wird dieser Begriff schon länger verwendet, um die Fähigkeit von Menschen zu beschreiben, die sich trotz widriger Umstände nicht aus der Bahn werfen lassen bzw. sich rasch wieder erholen können.
Seit einigen Jahren wird Resilienz auch in anderem Kontext verwendet, wie etwa im Cyber-Sicherheitsbereich. Meistens wird darunter „Widerstandsfähigkeit“ verstanden, was jedoch deutlich zu kurz greift. Denn es geht vor allem um die Selbstreparaturfähigkeit! Die Wissenschaft spricht daher bereits von einem „boundary object“, das bedeutet, dass man immer hinterfragen sollte, was damit genau gemeint ist. Ansonsten kann man schnell aneinander vorbeireden. Daher erfolgt hier auch eine breitere Betrachtung und Einordnung.
Resilienz hat mit Lebendigkeit und Lernen zu tun, was für technische Systeme wohl kaum zutreffend ist. Denn lernen können nur Menschen bzw. Organismen. Technische Systeme können robust gestaltet werden und damit die Resilienz von Menschen unterstützen. Robustheit bezeichnet nämlich die Fähigkeit eines Systems, Veränderungen ohne Anpassung seiner anfänglich stabilen Struktur standzuhalten (Quelle: Wikipedia). Eine scharfe Trennung erscheint dennoch wenig sinnvoll, da wiederum ein „sowohl-als-auch“ gilt.
Eine Unterscheidung ist aber nützlich, weil damit Dinge klarer angesprochen werden können. Denn eine Gesellschaft kann nur resilient sein / werden, wenn das Individuum bereit ist, einen Beitrag zu leisten. Dies ist besonders gut beim Thema Blackout zu beobachten. Zum anderen erfordert „Lernen“ auch die Fähigkeit, überholte Dinge über Bord zu werfen bzw. zu vergessen. Hier tun wir uns besonders schwer. Gerade in Zeiten von Umbrüchen, wie wir sie derzeit erleben. Warum soll man auch auf etwas verzichten, das bisher erfolgreich war und funktioniert hat? Ganz einfach: Weil sich möglicherweise die Rahmenbedingungen so geändert haben, dass das nicht mehr stimmt.
Es geht dabei nicht primär um die Verhinderung von Störungen oder die Bewahrung von bisher Erfolgreichem, sondern um die Fähigkeit, etwa durch Anpassung, Flexibilität, Redundanzen oder Selbstorganisation, auch unter oder nach Störungseinflüssen rasch wieder eine dynamische Stabilität herzustellen. Störungen oder Veränderungen werden dabei als Chance für die Weiterentwicklung gesehen und genutzt, um zukünftig noch besser auf die nächste (unbekannte) Störung oder Veränderung reagieren zu können („Lernen!“). Resilienz erfordert daher eine Lern- und besonders eine Antizipationsbereitschaft.
Die beiden nachfolgenden Bilder verdeutlichen den wesentlichen Unterschied zwischen Resilienz und Widerstandsfähigkeit. Resilienz bedeutet, dass trotz der Zerstörung (Waldbrand) ein Wiederbeginn möglich ist. Der Samen war ausreichend widerstandsfähig, um die hohen Temperaturen auszuhalten bzw. wurde er vielleicht auch von extern eingetragen. Es geht weiter. Der Leuchtturm ist ausreichend widerstandsfähig, um den Sturmwellen Stand zu halten. Er ist deshalb aber noch nicht resilient. Er kann sich nicht anpassen. Sollte er zerstört werden, muss er neu aufgebaut werden. Aber er kann das nicht von sich aus tun. Es fehlt die eigene Selbstreparaturfähigkeit! Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Resilienz, bzw. warum die Betrachtung von Widerstandsfähigkeit beim Thema Resilienz zu kurz greift. Es geht vor allem um die Fähigkeit, nach Störungen weiterzufunktionieren.Resilienz bedeutet auch deutlich mehr als der vorherrschende Begriff „Schutz“ („Bevölkerungs- oder Katastrophenschutz“), wo wiederum versucht wird, Störungen zu verhindern bzw. diese beim Eintritt rasch durch professionelle Hilfe zu „bekämpfen“. Etwa bei und nach Hochwässern. Der Status Quo wird erhalten, welcher dann oft durch Schutzdammbauten abgesichert wird. Eine Hinterfragung der Ursachen erfolgt eher selten. Daher eher ein starrer und nicht sehr nachhaltiger Ansatz. Resilienz hingegen soll im Störungsfall eine Aufrechterhaltung von wesentlichen (Grund-)Funktionen bzw. die rasche Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen ermöglichen. Dazu gehört auch eine Weiterentwicklung und das Hinterfragen des Status Quo.
Gerade im Hinblick auf die zu erwartenden fundamentalen Veränderungen im Rahmen der Transformation von der Industrie- zur Netzwerkgesellschaft werden wir sehr gefordert. Aussagen wie Die Menschheit steht vor dem größten Umbruch seit der industriellen Revolution oder Die nächsten 20 Jahre werden mehr Veränderung bringen als die letzten 100 Jahre unterstreichen dies. Daher wird nicht das Bewahren und Verharren, sondern nur eine rasche Anpassung erfolgreich sein. Moderne Gesellschaften wie unsere, die nun eine lange stabile Phase hinter sich und ein sehr hohes Wohlstandsniveau erreicht haben, tun sich mit Veränderungen und Anpassungen jedoch meist besonders schwer. Aber wie die Natur schon immer gezeigt hat, ist eine Weiterentwicklung nur durch Anpassung und Neuerfindung möglich, der Rest wird zu „stummen Zeugen“ (Nassim N. Taleb: „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“, Pantheon-Verlag, 2018).
Im Gegensatz zur Sicherheits- bzw. Risikobetrachtung erfolgt die Resilienzbetrachtung unabhängig vom Szenario und ermöglicht so einen besseren Umgang mit Unsicherheiten. Dabei stehen vor allem die möglichen Konsequenzen im Vordergrund. In Zeiten von zunehmenden Unsicherheiten ist ein komplementäres Robustheits- bzw. Resilienzdenken erforderlich. Das bisher vorwiegende und in stabilen Zeiten auch sehr erfolgreiche Sicherheits- bzw. Risikodenken reicht alleine nicht mehr aus, um mit den Auswirkungen von systemischen Risiken sinnvoll umgehen zu können. Aber auch hier gilt wiederum ein „sowohl-als-auch“-Denken: Es wird auch weiterhin Bereiche geben, wo das bisherige lineare, monokausale Denken ausreicht und erfolgreich ist. Die Kunst besteht nun darin, zu erkennen, wo das jeweilige Konzept anzuwenden ist.
„Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Systems (einer Person, Organisation oder Gesellschaft) mit Störungen und Veränderungen konstruktiv umzugehen.“
Herbert Saurugg, Major a. D., ist Internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), auf deren Internetseite https://www.gfkv.at/ sich auch nähere Informationen zum Thema finden.