Die Emslandstörung

In der Geschichte des europäischen Verbundnetzes zur Stromversorgung der 36 angeschlossenen UCTE-Staaten kam es bislang zu insgesamt fünf großen Zwischenfällen, von denen das schwerwiegendste Vorkommnis in Form der sogenannten Emslandstörung mit anschließendem Systemsplit des kontinentalen Synchronnetzes in diesem Artikel beschrieben werden soll.

In der Meyer-Werft in Papenburg wurde in den Jahren 2005 und 2006 mit der Norwegian Pearl ein Kreuzfahrtschiff gebaut, das nach seinem Stapellauf an die Reederei Norwegian Cruise Line über die Ems befördert werden musste. Zur Ausschiffung war es notwendig, am Abend des 4. November 2006 zwei vom dortigen Übertragungsnetzbetreiber E.ON (heute: TenneT TSO) betriebene Höchstspannungsleitungen zwischen Conneforde und Diele bei Mitling-Mark südlich von Weener im Rahmen der Schiffsüberführung temporär (für etwa vier Stunden) spannungsfrei zu schalten, so dass diese zeitweilig keinen Strom mehr transportieren konnten.

Nach entsprechender Lastflussberechnung zur Änderung der Netztopologie in Echtzeit durch E.ON Netz sowie Information des angrenzenden Übertragungsnetzbetreibers RWE Transportnetz Strom (heute: Amprion) und dessen Zustimmung bzgl. der dadurch verursachten planmäßigen Lastflussänderungen schaltete die Lastwarte die beiden Freileitungen nacheinander ab, erhielt jedoch innerhalb weniger Sekunden über die Regeltechnik erste Warnmeldungen zu möglichen Leitungsüberlastungen in ihrer Regelzone zurück. Die Erlaubnis für die Schiffspassage bzw. -überführung wurde der Meyer-Werft durch E.ON im Übrigen zwar erteilt, aufgrund der nachfolgenden Vorkommnisse konnte das Kreuzfahrtschiff Papenburg an diesem Tag jedoch nicht mehr verlassen.

Obwohl der Systemoperator reagierte und über eine Kupplungsschaltung bzw. den Zusammenschluss zweier Sammelschienen im betroffenen Umspannwerk entsprechende Vorkehrungen zur Reduzierung des Lastflusses traf, stieg die Übertragungsleistung auf der nun kritischen Leitung als Netzengpass dennoch weiter an – auch wegen der zu diesem Zeitpunkt getätigten Handelsgeschäfte bzw. relativ hohen Energieeinspeiseleistung –, so dass definierte Sicherheitsgrenzwerte auch in der benachbarten RWE-Regelzone überschritten wurden. Zum Zeitpunkt der Abschaltung der beiden 400 kV-Trassen wurde über die Ems-Freileitungskreuzung eine Leistung von rund 10 GW, vor allem aus Windkraft, von Nord- nach West- und Südeuropa transportiert. Eine automatische Auslösung des Netzschutzes konnte durch die Netzbetriebsführung jedoch nicht mehr verhindert werden: Die kritische Verbindungslinie des Übertragungsnetzes schaltete sich automatisch ab – mit der Konsequenz, dass kaskadenförmig weitere Stromtrassen überlastet wurden und ebenfalls über die Schutzabschaltung auslösten.

In der Folge dieses Zusammenbruchs der nordwestdeutschen Stromversorgung wurde das nun nicht mehr synchrone UCTE-Verbundnetz durch die Abfolge automatischer Notfallprogramme zum Ende dieser Kettenreaktion zwangsweise in die drei Teilnetze West-, Nordost- und Südosteuropa aufgesplittet, um einen kontinentalen Blackout sowie technische und wirtschaftliche Schäden an der Netzinfrastruktur zu vermeiden. Die aufgetrennten Einzelnetze waren entsprechend jeweils unter- oder überfrequent. Ab etwa 22:10 Uhr waren durch den daraus resultierenden grenzübergreifenden und massiven automatischen Lastabwurf im unterfrequenten Netzbereich Westeuropas über zwölf Millionen Menschen vor allem in Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien über mehrere Stunden ohne Strom. Erst gegen 22:50 Uhr gelang es den Übertragungsnetzbetreibern der ENTSO-E nach mehreren erfolglosen Versuchen, die Synchronität des Stromnetzes wiederherzustellen und es aus den drei Splitnetzen wieder zusammenzuschalten.

Zu den beiden Störfällen im europäischen Stromnetz in diesem Jahr siehe die beiden Artikel „Netztrennung und Stromausfall im UCTE-Verbund“ für die Ereignisse des 8. Januar in Südosteuropa und „Netztrennung und Stromausfall im UCTE-Verbund II“ zum Beinahe-Blackout vom 24. Juli auf der iberischen Halbinsel.