Der „kalte Pfropfen“

In Netzen zur Versorgung von Verbrauchern mit Fernwärme kann es im betrieblichen Ablauf zu unterschiedlichen einschlägigen Prozessproblemen kommen, zu denen der sogenannte „kalte Pfropfen“ (oder „kalte Proppen“) zählt. Dazu sollen in diesem Artikel die wesentlichen Begrifflichkeiten eines idealisierten Heizwassersystems erläutert werden.

Ein Wärmenetz wird in der Regel durch die Betriebsparameter Druck und Temperatur der zentral oder dezentral zu erwärmenden und anschließend zu verteilenden Menge des Wärmeträgermediums, meist Wasser, charakterisiert. Im Heiznetz unterscheidet man zwischen der örtlichen Wärmeerzeugung und -abnahme die beiden Teilsysteme für den Vor- und den Rücklauf des Netzwassers. Das Ziel der Versorgung der an das System angeschlossenen Kunden wird dabei in erster Linie durch die vorherrschende Last sowie die bestehende (auch hydraulische) Netztopologie bestimmt. Im Hinblick auf die Infrastruktur ist jedoch nicht nur Anzahl und Lage der Ein- und Ausspeisestellen, sondern vor allem der sogenannte „kritische Kunde“ entscheidend. Dieser ergibt sich aus der größten räumlichen Entfernung zur Heizproduktionsanlage, da sich durch den längsten zurückzulegenden Weg gleichzeitig auch der höchste Druckabfall zwischen Quelle und Senke ergibt. Um den Prozessdruck im Netz aufgrund der natürlichen Druckverluste durch Strömung, Reibung, Wegstrecke etc. aufrechterhalten und auch den kritischen Kunden sicher versorgen zu können, müssen regelbare Netzpumpen in entsprechender Anzahl und Dimensionierung im Wärmezyklus installiert sein. Dazu muss der am Regelpunkt gemessene Differenzdruck an der am weitesten entfernten Last innerhalb bestimmter Grenzen liegen.

Wird beispielweise das durch eine zentrale Erzeugungsquelle erhitzte Wärmeträgermedium mit einem Druck von 10 bar von einer dieser vorgeschalteten Netzpumpe in ein einfaches Liniennetz gepumpt, erfährt es auf dem Weg, das heißt im Vorlauf zum kritischen Kunden vereinfacht dargestellt einen linearen Druckabfall proportional zur zurückgelegten Wegstrecke. Beträgt der Druck dort nur noch 6,5 bar bei einem oben genannten Differenzdruck von in der Regel 1 bar, so verlässt das Wasser den die Pumpenleistung steuernden Regelpunkt im Rücklauf vom kritischen Verbraucher mit einem noch verbleibenden Druck von 5,5 bar. Auf dem Weg zurück zur Erzeugungseinheit erfolgt ein weiterer Druckverlust, was – entsprechend der aufgetretenen Druckdifferenz im Vorlauf (Δp = 3,5 bar) – in einem mit Hilfe eines Druckhaltungssystems eingestellten Mindest- bzw. Ruhedruck von 2 bar bei Wiedereintritt in die Anlage bzw. Einspeisepumpe mündet. Diese bringt das Medium wieder auf den maximalen Betriebsdruck in Höhe der o. g. 10 bar.

Proportional zur Leitungslänge verhält sich in diesem Kreislauf neben dem Druck auch die Temperatur des Heizwassers. Dabei unterscheidet man gemäß der beiden Teilsysteme zwischen Vor- und Rücklauftemperatur. Erstere steigt mit sinkender Außentemperatur und bewegt sich zwischen minimal 65 °C, um beim Kunden die zur Legionellen-Prophylaxe geforderten 60 °C für die Trinkwarmwassererwärmung sicherzustellen, und maximal 110 °C im Falle einer wärmeseitigen Höchstlast im Winter. Im Sommer kann diese je nach Außentemperatur bis auf 70 °C heruntergeregelt werden, um zusätzliche Wärmeverluste zu verringern. Zweitere liegt demgegenüber ganzjährig zwischen 65 und 70 °C. Die Vorlauftemperatur richtet sich nach Kriterien wie Kundenbedürfnissen, Netzkapazität, Erzeugungsmöglichkeiten und Temperaturbeständigkeit der Rohrleitungen, während die Rücklauftemperatur nicht vom Netzbetreiber, sondern durch die angeschlossenen Wärmeverteilsysteme auf der Kundenseite bestimmt wird.

Kommt es nun – gerade in komplexen Maschennetzen – beispielsweise zu Fehlern in der Pumpenregelung, zu einer Störung infolge einer von den hydraulischen Netzschwankungen abhängigen Druckbegrenzung oder zum Ausfall der Wärmequelle, zum Beispiel einer Erzeugungseinheit zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), und bleiben gleichzeitig die Umwälzpumpen eines solchen Heizsystems in Betrieb, um die Verbraucher weiterhin mit der noch im Netz befindlichen Fernwärme zu versorgen, so entsteht ein sogenannter „kalter Pfropfen“, der durch den Prozessdruck ungewollt in Richtung Kunde befördert wird und so in Abhängigkeit der zeitlichen Dauer bis zur Störungsbeseitigung ein mehr oder weniger großes Versorgungsproblem darstellt. Der Betriebsdruck im gesamten Wärmenetz bleibt also weiterhin auf dem erforderlichen Niveau, während die Temperatur des Heiznetzwasservorlaufs zu den Kunden störungsbedingt um mehrere Grad Celsius abfällt.

Eine Möglichkeit, um einen derartigen mehrminütigen oder gar -stündigen kalten Pfropfen zu vermeiden oder im Falle eines Anlagenausfalls so gering bzw. zeitlich so kurz wie möglich zu halten, wären beispielsweise parallel geschaltete Spitzenkessel, Heizwerke und / oder Fernwärmespeicher, die bei Wegfall der primären Erzeugungseinheit sofort angefahren und / oder zugeschaltet werden können, um die Temperatur im Vorlauf wieder auf das Normalniveau anzuheben, was innerhalb weniger Minuten erfolgen kann, da die Netzwasserumwälzpumpen während der Störung in der Regel weiter fördern. Ebenso kann ein kalter Pfropfen gegebenenfalls vom zuständigen Netzbetreiber bzw. Lastverteiler in Abhängigkeit der vorherrschenden Netzinfrastruktur vor Erreichen des Verbrauchers über entsprechende Bypässe zum Rücklauf des Fernwärmesystems abgefahren werden.