Netzbriefmarken

In der Netzwirtschaft ist des Öfteren von sogenannten Netzbriefmarken die Rede. Insbesondere im Rahmen der rechnerischen Ermittlung der vermiedenen Netznutzungsentgelte (oder kurz: Netzentgelte, vNNE oder vNE) gemäß der einschlägigen Strom- und Gasnetzentgeltverordnungen (Strom- und GasNEV) ist dieser Begriff von Bedeutung. Der heutige Artikel soll sich daher mit diesem Thema vor dem Hintergrund der neuen Netzentgeltstruktur in Deutschland befassen.

Im Jahr 2017 wurde das Gesetz zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur (auch: Netzentgeltmodernisierungsgesetz, NEMoG) erlassen. Dieses wurde in den Artikeln „Beschluss der Modernisierung der Netzentgeltstruktur (NEMoG)“ und „Das Netzentgeltmodernisierungsgesetz (NEMoG)“ bereits vorgestellt. Netzentgelte sind Entgelte, die der Betreiber eines Netzes vom Nutzer seines Netzes erhebt. Diese Nutzung bzw. Netzdurchleitung bezieht sich entweder auf Strom- oder Gasnetze im liberalisierten Energiemarkt; an dieser Stelle wird die Stromseite betrachtet. Kann der Netznutzer einen Teil seiner normalerweise aus dem vorgelagerten Netz benötigten Last aus eigenen Kraftwerken (Eigenerzeugung) selbst decken und diese dezentral erzeugte Energie verbrauchsnah in die nachgelagerte Spannungsebene einspeisen, so erhält er für ebendiesen Anteil vom Netzbetreiber vermiedene Netzentgelte.

Diese werden rechnerisch unter Berücksichtigung der vom Netzkunden erbrachten kumulierten Vermeidungsleistung seiner Erzeugungseinheiten als resultierende Differenz aus der Höchstlast der Entnahme aus dem nachgelagerten Netz sowie der Höchstlast des Bezuges aus dem vorgelagerten Netz ermittelt. Dabei wird grundsätzlich ein komplettes Kalenderjahr in viertelstündlicher Zeitauflösung betrachtet. Die beiden vorgenannten Zeitpunkte bzw. Viertelstunden der jeweils maximalen Last beispielsweise des vorgelagerten Höchst- (≥ 220 kV) und des diesem nachgelagerten Hochspannungsnetzes (110 kV) weichen standardmäßig voneinander ab; es erhalten stets jene Anlagen vermiedene Netzentgelte, die zum Zeitpunkt der Entnahmehöchstlast am Stromnetz waren und somit elektrische Energie einspeisten.

Diese Gutschriften werden vom Netzbetreiber der Höchstspannungsebene und somit vom Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ausgezahlt, da diesem durch die dezentrale Einspeisung und damit durch die Vermeidung der Nutzung bzw. Belastung seines Netzes tendenziell geringere Aufwendungen entstehen. Daneben entfällt auch ein Teil der ansonsten notwendigen Umspannungs- bzw. Transformationsvorgänge, die zum gewöhnlichen Verschleiß der technischen Netzinfrastruktur sowie zu mechanischen bzw. thermischen Verlusten im Rahmen der Stromdurchleitung führen. Ebenso könnten bei konventionellen Kraftwerken auf der Basis fossiler Brennstoffe neben den dadurch reduzierten Ausgaben für Reparatur, Wartung und Instandhaltung die Kosten für den Ausbau des Netzes verringert werden. Anlagen zur Einspeissung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen erhalten ihre vermiedenen Netzentgelte über die EEG-Vergütung.

Zur Berechnung des tatsächlichen Vermeidungsentgelts pro Netzkunde hat der Gesetzgeber im NEMoG das jeweilige jährliche Preisblatt der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW des Jahres 2016 als Referenzgrundlage festgelegt. Wie auch bei den Systemdienstleistungen sind bei der Netznutzung Leistungs- und Arbeitspreis vorgesehen, die in der Regel in den Einheiten EUR/kW (Preis pro Leistung) und ct/kWh (Preis pro Arbeit) angegeben werden. Gemäß Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) stellen diese beiden Referenzpreise Obergrenzen da: Sind die jeweils aktuell gültigen Netznutzungsentgelte der Folgejahre niedriger, so werden diese für die Errechnung und Auszahlung der vNE an den Netznutzer herangezogen. Sind sie höher, so gelten die Preise laut Referenzblatt aus dem Jahr 2016.

Da sowohl Leistungs- als auch Arbeitspreis jährlich Änderungen durch die Festsetzung der Netzbetreiber (oder nach abschließender Prüfung ggfs. durch nachträgliche Korrekturen durch die Bundesnetzagentur, BNetzA) unterliegen, werden sie zur Vergleichbarkeit mit den folgenden Jahren „normiert“, was im Ergebnis eine solche Netzbriefmarke ergibt. Für Anlagen, welche zum Beispiel auf der Hochspannungsebene angeschlossen sind, gilt im Preisblatt des zuständigen Anschlussnetzbetreibers demzufolge die zweite Netzebene in Form der Umspannung zwischen Höchst- und Hochspannung bei einer Jahresarbeit von > 2.500 Benutzungsstunden.

Zur Berechnung der Netzbriefmarke wird der Arbeitspreis mit der Stundenzahl des jeweiligen Jahres zwecks Berücksichtigung von Schaltjahren multipliziert und abschließend der aktuelle Leistungspreis addiert. Die Netzbriefmarke – im Referenzjahr 2016 auch Referenzbriefmarke genannt – besitzt somit die Einheit Preis pro Leistung [EUR/kW] und trägt der Tatsache Rechnung, dass von Jahr zu Jahr entweder der Leistungs- oder der Arbeitspreis aufgrund ihrer oben genannten Schwankungen unabhängig voneinander mal über und mal unter ihrem jeweiligen Referenzpreis liegen können, so dass im Ergebnis statt zwei Preisen nur noch ein daraus zusammengesetzter Wert vorliegt. Faktisch wurden durch das NEMoG somit die vermiedenen Netznutzungsentgelte ab dem 01. Januar 2018 auf den Stand vom 31.12.2016 eingefroren.

Weitere Informtionen zum Themenbereich der Netzwirtschaft finden sich auf dieser Internetseite zum Beispiel unter dem Link https://www.dirk-hottmann.com/category/netzstabilitat/.