Blindleistung

Im Artikel „Synchronmaschinen“ wurde im Zusammenhang mit einem ihrer Vorteile in Form des Phasenschieberbetriebes erwähnt, dass diese Aggregate bauartbedingt neben der nutzbaren Wirkleistung auch eine sogenannte Blindleistung aufnehmen oder abgeben können. In diesem Beitrag soll nun erläutert werden, was unter dem weniger geläufigen elektrotechnischen Terminus der Blindleistung zu verstehen ist.

Grundsätzlich lässt sich der physikalische Leistungsbegriff als Quotient aus Energie bzw. Arbeit pro Zeit in zwei Arten von elektrischer Leistung unterteilen, die in der Elektrotechnik hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit differenziert werden. Dies ist zum einen die Wirkleistung, die als nutzbare elektrische Leistung für die Umwandlung in andere Leistungsarten vollumfänglich zur Verfügung steht. Demgegenüber kann die Blindleistung nicht in zum Beispiel mechanische, thermische oder chemische Energie umgewandelt werden. Da diese demnach keine „tatsächliche“ Leistung darstellt bzw. vom jeweiligen Verbraucher nicht umgesetzt werden kann, ist dieser Leistungsanteil in der Regel unerwünscht, wird jedoch insbesondere für den Stromtransport sowie zur Stabilisierung des elektrischen Energieversorgungsnetzes benötigt.

Die Wirkleistung mit dem Formelzeichen P wird in der Einheit Watt [W], die Blindleistung mit dem Formelzeichen Q in der Einheit Voltampere reaktiv [Var] angegeben. Gemeinsam ergeben sie die sogenannte Scheinleistung, die allerdings nicht die additive Summe aus Wirk- und Blindleistung, sondern ihre geometrische (pythagoreische) Summe S = √ (P² + Q²) bzw. S² = P² + Q² darstellt, und als resultierende Gesamtleistung mit dem Formelzeichen S in der Einheit Volt Ampere [VA] ausgewiesen wird. Wegen SP fließt zwischen Erzeuger und Last über das mit Ein- oder Dreiphasenwechselstrom (Drehstrom) betriebene Energienetz in der Regel mehr Strom, als vom mit Energie beschickten Verbraucher umgesetzt werden kann. Während die Wirkleistung dort irreversibel in andere Energiearten umgewandelt werden kann und damit zur tatsächlichen Deckung des anfallenden Energieverbrauchs das Stromnetz verlässt, kann Blindleistung bei Energiebedarf wieder reversibel in das Versorgungsnetz ein- bzw. rückgespeist werden.

Diese physikalische Eigenschaft wird nun durch entsprechend ausgelegte Synchronmaschinen, die entweder autark oder in Kraftwerksanlagen und somit zentral installiert sind, genutzt und zur Kompensation von Blindleistung, zur Einstellung der Netzspannung oder zur Steuerung bzw. Beeinflussung des Lastflusses eingesetzt. Blindleistung stellt physikalisch betrachtet die Voraussetzung für den Transport der Wirkleistung dar, da die Knoten des Versorgungsnetzes in Form der elektrischen Anlagen wie zum Beispiel Generatoren, Motoren oder Transformatoren nur mit ihrer Hilfe ein magnetisches Feld aufbauen können, ohne das der Strom nicht fließen würde. Verfahren bzw. Anlagen zur Kompensierung der Blindleistung innerhalb des Stromnetzes werden notwendig, da die Kapazität des elektrischen Energiesystems durch physikalische Rahmenbedingungen wie Leitungsqualität, -länge oder -querschnitt begrenzt ist. Fließt mehr bzw. zu viel Blindleistung, so kann demnach auch nur weniger benötigte Nutzleistung zu den Endverbrauchern transportiert werden. Der Höhe der Blindleistung ist aus den vorgenannten Gründen jedoch ebenso eine Grenze nach unten gesetzt, denn wenn sie zu niedrig wird, sinkt entsprechend auch die Spannung im Energienetz und es fließt weniger Strom; es besteht die Gefahr einer Netzstörung oder – wenn die Frequenz weiter abfällt – sogar eines Netzzusammenbruchs (Blackout).

Einheiten zur Regelung der Blindleistung im Netz werden wie im Artikel „Synchronmaschinen“ beschrieben als Phasen(ver)schieber bezeichnet, die Blindleistung je nach Bedarf entweder erzeugen oder verbrauchen und diese somit ins Netz einspeisen (positive Regelung) oder von dort wieder aufnehmen können (negative Regelung). Dazu sind auch konventionelle Kraftwerksanlagen mit verbauten Synchronmaschinen in der Lage. Somit handelt es sich ebenso wie bei den klassischen Regelleistungsarten (Primär-, Sekundär- und Tertiärregelung bzw. Minutenreserve) um eine Form der Systemdienstleistung, um das Netzwerk zur Übertragung und Verteilung elektrischer Energie im Hinblick auf seine Spannung und damit die Frequenz (Sollwert im europäischen Netzregelverbund: 50 Hz) für einen sicheren Betrieb und eine kontinuierliche Elektrizitätsversorgung dauerhaft stabil zu halten. Daher sind Kraftwerksbetreiber von ihrem jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber dazu angehalten, die Menge bzw. Höhe der in ihren Anlagen erzeugten Blindleistung über geeignete Maßnahmen kontinuierlich zu überwachen, zu regeln und gemäß den Vorgaben einzuhalten.