Stromnetzresilienz

In verschiedenen Artikeln auf dieser Internetseite wurde der Begriff der Resilienz thematisiert. Auch das Stromnetz muss zur Wahrung einer stabilen Versorgungs- und dauerhaften Funktionsfähigkeit resilient ausgelegt sein. Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e. V. (VDE), Frankfurt am Main, hat in diesem Zusammenhang verschiedene zentrale Komponenten als eine der Grundpfeiler einer sicheren Energieversorgung und resilienten Systemstabilität definiert.

In Abhängigkeit vom Zustand eines Energieversorgungsnetzes können insgesamt vier charakteristische Stufen identifiziert werden, die in der untenstehenden Abbildung (Bildquelle: VDE) mit zunehmender qualitativer und quantitativer Störungsintensität in Form von Anzahl und Ausmaß an Störungen im Verbundnetz grafisch veranschaulicht sind: Normalzustand (grün), gefährdeter Zustand (gelb), Notzustand (rot) und Blackout (schwarz). Ziel in allen drei Störungsfällen (gelb, rot und schwarz) ist grundsätzlich die schnellstmögliche Wiederherstellung des störungsfreien Normalbetriebs des Stromnetzes (grün). Die Rückführung in den Normalzustand ist von den Stufen gelb und rot durch verschiedene konventionelle Systemmaßnahmen möglich, während im Falle eines Schwarzfalls aufgrund des damit einhergehenden komplexen Zusammenbruchs des Netzes zunächst der aufwendige sukzessive Wiederaufbau desselben erfolgen muss. Aufgrund der Kritikalität greift zur Vermeidung eines Blackouts bei Erreichen des Notzustands ein sogenannter Systemschutzplan.

Auch im Falle von extremen Störungen im Verbundnetz muss das System weiterhin funktionieren. Einerseits soll unter solchen Umständen weiterhin die kontinuierliche Versorgungssicherheit aufrechterhalten werden, andererseits sollen sogenannte Kaskadeneffekte verhindert oder zumindest reduziert werden, um ein Übergreifen der ursächlichen Problematik auf weitere elektrische Betriebsmittel (wie zum Beispiel Transportleitungen, Kraftwerke oder Transformatoren) und damit einen Schwarzfall zu vermeiden. Für einen sicheren Netzbetrieb sind gemäß den Richtlinien des VDE in diesem Kontext insgesamt drei wesentliche Fähigkeiten eines resilienten Stromnetzes erforderlich.

Robustheit: Der erste Begriff der Resilienz von elektrischen Energienetzen umfasst die Widerstandsfähigkeit von elektrischen Betriebsmitteln im störungsfreien Normalzustand (grün) unter Einhaltung des sogenannten (n–1)-Kriteriums. Der Normalzustand (n–0) ergibt sich, wenn ein Netzelement als elektrisches Betriebsmittel im System wie zum Beispiel Transformator, Generator oder Transportleitung ohne direkte Konsequenz für die Versorgungs- und / oder Funktionsfähigkeit des gesamten Stromversorgungssystems ausfallen kann bzw. darf. Erst danach geht das System in den (n–1)-Zustand über, was die nachfolgend beschriebene zweite Komponente der Netzresilienz erforderlich macht.

Anpassungsfähigkeit: Im (n–1)-Fall geht das System in den gefährdeten Zustand (gelb) über. Alle betrieblich vorgeschriebenen Normwerte können durch die bestehende Redundanz im Stromnetz weiterhin eingehalten werden. Dennoch müssen diverse Maßnahmen ergriffen werden, um das ursprüngliche Sicherheitsniveau (n–0) wiederherzustellen. Kann das System nicht schnell genug wiederhergestellt werden und / oder gehen weitere Betriebsmittel durch Grenzwertverletzungen über Notaus vom Netz, so geht das System in den Notzustand (rot) über. Zur Stabilisierung des Netzes greifen die verantwortlichen Systemkoordinatoren umgehend auf Systemdienstleistungen wie zum Beispiel Regelenergie zurück. Fällt die Netzfrequenz dennoch weiterhin unter einen definierten kritischen Wert (die Kraftwerksanlagen im System trennen sich zum Selbstschutz spätestens bei einer Unterfrequenz von 47,5 Hz automatisch vom Netz), so erfolgt die manuelle oder automatische Zwangstrennung von einzelnen Verbrauchern oder Netzteilbereichen („Lastabwurf“).

Erholungsfähigkeit (auch Regenerationsfähigkeit): Haben alle Sicherheitsvorkehrungen sowie die vorstehend beschriebenen Maßnahmen zur Netzstabilisierung nicht ausgereicht, und ist es durch eine Verletzung der Frequenzuntergrenze zur Trennung von Netzabschnitten oder dem Ausfall des gesamten Systems zu einem großflächigen Stromausfall (Großstörung) gekommen (schwarz), so muss das Netz von der Stromnetzführung durch schrittweises Hochfahren auf seinen alten Zustand zurückgeführt werden. Bei einem vollständigen Netzzusammenbruch erfolgt der Wiederaufbau in zwei Stufen: Phase 1 hat zum Ziel, das Stromnetz wieder unter Spannung sowie in einen stabilen Betriebszustand zu versetzen und ausreichend Systemdienstleistung zu reaktivieren. Allerdings können die meisten Kraftwerke nicht einfach wieder hochgefahren und mit dem schwarz gewordenen Netz synchronisiert werden. Dazu müssen sie „schwarzstartfähig“ sein. Derartige Erzeugungseineinheiten müssen demnach ihren elektrischen Eigenbedarf aus netzunabhängigen Stromquellen decken können, regelbar sein und schnelle Lastwechsel sowie große Lastsprünge („Laststöße“) verkraften können. In der anschließenden Phase 2 erfolgt die schrittweise Synchronisierung des Stromnetzes mit den Erzeugern und Verbrauchern im System, bis der störungsfreie Ursprungszustand (grün) wiederhergestellt ist.

Wiederherstellung der Systemstabilität nach verschiedenen Netzbetriebszuständen