Windströmung und -geschwindigkeitsverteilung in der Nordsee

Für den Ertrag aus Windenergieanlagen an Offshore-Standorten spielen einerseits die Windströmung sowie andererseits die Verteilung der Windgeschwindigkeiten über See eine große Rolle. Beide windenergetisch relevanten Parameter sollen in diesem Beitrag betrachtet werden, deren Grundlagen bereits in der Artikelreihe „Meteorologische Rahmenbedingungen im Offshore-Bereich“ angesprochen wurden.

Der Wind auf See ist in der Regel weniger turbulent als an Standorten auf dem Land, weshalb die Annahme nahe liegt, dass Offshore-Windkraftanlagen diesbezüglich eine höhere Lebensdauer aufweisen könnten als Anlagen an Land (vgl. Artikel „Lebensdauer von Offshore-Windenergieanlagen“). Basierend auf der Strömungslehre weisen flüssige und / oder gasförmige Fluide eine laminare (gleichförmige) Strömung auf, wenn die charakteristische dimensionslose Reynolds-Kennzahl als das Verhältnis von Trägheits- zu Zähigkeitskräften Re < 2.300 beträgt; über dieser Grenze spricht man von einer turbulenten (chaotischen) Strömung mit entsprechenden Verwirbelungen, Strömungsabrissen und Querströmungen. Eine mögliche höhere Lebensdauer der Windenergieanlagen gilt jedoch lediglich im Hinblick auf die geringere Turbulenz, da weitere Umweltparameter wie zum Beispiel die auf die Kraftwerke einwirkenden Lasten aus Wind- und Wellengang sowie Extremlasten wie die sogenannten 100-Jahreswellen und -böen (vgl. Artikel „Rotorblätter für Offshore-Windkraftanlagen II“), Blitzschlag, Eisgang oder auch Korrosion die technische Lebenserwartung einer Windenergieanlage auf See deutlich reduzieren können.

Die geringere Bildung von Windturbulenzen ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Temperaturänderungen in den verschiedenen Höhenlagen über dem Meer signifikant kleiner sind als über dem Land. Das Sonnenlicht dringt in diesem Zusammenhang bis auf einige Meter tief unter die relativ lichtdurchlässige Wasseroberfläche ein, während an Land nur die oberste Erdschicht mit einer Dicke von wenigen Zentimetern von der Sonne erwärmt bzw. aufgeheizt werden kann. Daher ist die resultierende Temperaturdifferenz zwischen Oberfläche und Luft im Offshore-Bereich wesentlich kleiner als jene an Land, was in der Folge zu geringeren Turbulenzen in der Luftströmung führt.

Da derzeit nur wenige dezidierte Messungen bezüglich der exakten Offshore-Windbedingungen in der Nordsee öffentlich und frei zugänglich sind, ist eine verbindliche Aussage über die dortigen Windgeschwindigkeitsverteilungen an dieser Stelle ebenso wenig möglich wie detaillierte Angaben zu den generellen Windverhältnissen im Offshore-Bereich. Allerdings lassen sich ungefähre Abschätzungen zur Windgeschwindigkeitsverteilung machen, wenn man zu ihrer Beschreibung (bei Vorliegen entsprechender Winddaten) auf eine sowohl an Land als auch auf See gewöhnlich eingesetzte sogenannte WEIBULL-Verteilung zurückgreift.

Die jährliche Verteilung der Windgeschwindigkeiten, dargestellt in der idealisierten Form nach WEIBULL, lässt sich auf der Grundlage der derzeit zur Verfügung stehenden Daten im Rahmen der sogenannten Voluntary Observation Fleet– (VOF-)Methode für die Nordsee mit einem WEIBULL-Formparameter von β ≈ 2, genauer mit einem Parameterintervall von β ϵ [1,93; 2,11], wiedergeben bzw. abschätzen. Dieser Wert entspricht annähernd dem eines referenzierten Offshore-Windparks in der Nordsee von β = 2,2. Weiterhin weist dieser Windparkstandort bei einer Hauptwindrichtung Süd-Südwest gemäß der in der nachstehenden Abbildung [eigene Darstellung] für eine Höhe von 62 m und somit einer möglichen Nabenhöhe im Offshore-Bereich geltenden dargestellten Windgeschwindigkeitsverteilung am häufigsten eine mittlere Windgeschwindigkeit von 10 m/s (entspricht 5 Beaufort, Bft) bei einer relativen Häufigkeit von etwa 9,2% auf. (Abkürzungen der vier Hauptwindrichtungen in der Grafik: NW = Nordwest, SW = Südwest, SE = Südost, NE = Nordost).