Fernkälte

Im letzten Artikel wurde die generelle Versorgung von Verbrauchern mit Fernwärme zu Zwecken der Beheizung und Warmwasserbewirtschaftung behandelt. Daneben besteht ganzjährig in temperaturbezogen gegensätzlicher Richtung natürlich auch ein entsprechender Bedarf an Kälte bzw. Kühlung, um beispielsweise den laufenden Betrieb im Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Apotheken, Pharmaindustrie), im Lebensmittelbereich (Herstellung, Logistik, Verarbeitung / Verkauf) oder in privaten und öffentlichen Gebäuden mit Klimaanlagen zu gewährleisten. Daher soll in diesem Beitrag das Thema Fernkälte als ein weiterer wesentlicher thermischer Energieträger angesprochen werden.

Um im Rahmen der allgemeinen Energieversorgung prozessual Kälte liefern zu können, wird zum einen die im vorstehenden Artikel behandelte Fernwärme zur Erzeugung von Kälte dezentral, sprich unmittelbar vor Ort des tatsächlichen Bedarfs an thermischer Energie genutzt. Die zweite Alternative besteht in der Lieferung von zentral produzierter Fernkälte in Form von kaltem Wasser als Übertragungsmedium. Der Unterschied zwischen zentraler und dezentraler Kälteproduktion liegt darüber hinaus auch im jeweils zur Anwendung kommenden Versorgungsnetz: Bei der ersten Alternative bietet sich ein eigenes Fernkältenetz, wie es beispielsweise in Hamburg, München, Paris, Berlin oder Wien installiert ist, an. In Bezug auf letztere Möglichkeit kann die bereits bestehende Fernwärmeinfrastruktur genutzt werden, so dass netzseitig keine weiteren Kosten für Aufbau, Instandhaltung und Betrieb eines neuen Energieversorgungssystems für den jeweils zuständigen Netzbetreiber und somit für den Endkunden anfallen.

Vom Prinzip her funktioniert die Fernkälte wie bei einem konventionellen Kühlschrank: Über Strom wird ein Kreislauf mit kaltem Wasser oder einem anderen Kühlmedium betrieben. Die Abwärme, die durch das Zirkulieren und somit durch den kontinuierlichen Kühlprozess entsteht, wird abschließend entsprechend abgeführt. Als Antriebsenergie für den Kältezyklus kann dabei wie oben beschrieben Elektrizität oder Fernwärme dienen. Aus der sogenannten Kältezentrale wird das kalte Wasser mit einer Vorlauftemperatur von etwa 6 bis 7 °C über das temperaturisolierte Leitungsnetz zum Kunden transportiert.

Nach dem Kreislaufprinzip wird das durch den Durchlauf am Verbrauchsort erwärmte Kühlwasser mit einer Rücklauftemperatur von etwa 12 bis 16 °C oder mehr wieder zurück zur Zentrale zwecks erneuter Kühlung geleitet. Diese Abwärme, die aus der Temperaturdifferenz in Höhe von mehreren Grad Celsius resultiert, kann nun auf unterschiedlichen Wegen auf die vorgenannte Ausgangstemperatur rückgekühlt werden. Eine Option besteht in der Abführung der beispielsweise zur Klimatisierung beim Kunden erzeugten Abwärme über Kühltürme. Des Weiteren kann die Rückkühlung des Kältemediums auch mit Hilfe von Flusswasser erfolgen. In der Kältezentrale selbst wird die Wärme dem Kühlwasser über entsprechende Kälteanlagen bzw. -maschinen entzogen. In das System können nun je nach Bedarf auch sogenannte Kältespeicher eingebunden werden, die dem klassischen, mit Wasser gefüllten Wärmespeicher in umgekehrter Funktionsweise entsprechen, also ähnlich einem Spitzenlastkessel lastbedingte Schwankungen im Kältebedarf des Versorgungsnetzes ausgleichen sollen.

Der durch anthropogene (menschengemachte) Einflüsse seit Beginn der Industrialisierung hervorgerufene gegenwärtige Klimawandel führt potenziell zu einem globalen Anstieg der Durchschnittstemperatur, der insbesondere in Europa zu einem wachsenden Bedarf an Klimatisierung führt. Hier bietet sich eine Energieversorgung mit Fernkälte als wirtschaftliche und umweltfreundliche Lösung an, die sich insbesondere für große Immobilien und Gebäude wie Firmen, Einkaufszentren, Krankenhäuser oder Bahnhöfe über Fernrohrleitungen eignet. Sie erweist sich gegenüber der dezentralen Kälteerzeugung vor Ort (Nahkälte; zum Beispiel durch stationäre Klimaanlagen oder andere, entsprechenden Bauraum erfordernde Eigeninstallationen) als platzsparend. Zentral erzeugte Kälte mit einer Leistung im zwei- und dreistelligen Megawatt-Bereich ist kostensparend, da geringere Investitionskosten (beispielsweise für Kälteanschlüsse und Umformerstationen beim Abnehmer) und dadurch auch weniger Wartungs- und Instandhaltungskosten anfallen.