Systemrelevanz von Kraftwerksanlagen

Im letzten Artikel „Energie als kritische Infrastruktur“ wurden kritische Infrastrukturen und deren wichtige Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen behandelt, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Dies schließt auch den Energiesektor ein. Zusätzlich gibt es den energiewirtschaftlichen Begriff der Systemrelevanz, der in diesem Beitrag näher erläutert werden soll.

Der ursprünglich finanzwirtschaftliche Terminus ist unter anderem bekannt aus dem Film „Too Big to Fail“, der die Finanzkrise ab 2007 sowie die Systemrelevanz von Unternehmen am Finanzsystem beleuchtet, wo eine Insolvenz aufgrund der tragenden wirtschaftlichen Rolle zu einem Kollaps des gesamten Systems führen kann. Im energiewirtschaftlichen Kontext ist nun die Systemrelevanz eines Kraftwerks gegeben, wenn eine dauerhafte Stilllegung dieser Anlage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führt.

In den Artikeln „Die Reservekraftwerksverordnung (ResKV) I ff.“ sowie „Die Reservekraftwerksverordnung – Pro und Contra“ wurde bereits teilweise auf das Thema eingegangen. So sind Kraftwerksbetreiber gesetzlich dazu verpflichtet, ihrem Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), dem zuständigen Verteilnetzbetreiber (VNB) sowie der Bundesnetzagentur (BNetzA) eine geplante vorläufige (Kaltreserve) oder endgültige Stilllegung eines Kraftwerks mindestens zwölf Monate im Voraus anzuzeigen. Zugehörige Rechtsquelle ist das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz, EnWG) in Form des § 13 b „Stilllegungen von Anlagen“ (vgl. Art. „Das EnWG als Rechtsgrundlage für Netzreserve-Maßnahmen“).

Die Netzbetreiber prüfen dabei nach Erhalt der sogenannten Stilllegungsanzeige des Anlagenbetreibers, ob es sich dabei um ein systemrelevantes Kraftwerk handelt. Dabei spielen Kriterien wie z. B. die installierte Nennleistung, die geographische Lage, der (auch saisonale) Lastfluss im Stromnetz, Phasenschieberleistung, Betriebsmittel, Schwarzstartfähigkeit oder die Systemdienstleistung (Blind- und Regelleistungserbringung zwecks Spannungs- bzw. Frequenzstabilisierung, Redipatchmaßnahmen) der Erzeugungseinheit im gegebenen Falle eine Rolle.

Trifft der oben genannte Tatbestand auf das angezeigte Kraftwerk zu, und kann die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintretende, nicht unerhebliche Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Stromversorgungssystems im Falle einer vorläufigen oder endgültigen Stilllegung der Anlage auch nicht durch angemessene andere Maßnahmen beseitigt werden, so weist der ÜNB im Einvernehmen mit dem VNB diese als systemrelevant aus. Infolge dieser Ausweisung, die abschließend von der Bundesnetzagentur genehmigt werden muss, kann ein Weiterbetrieb des betroffenen Kraftwerks von bis zu 24 Monaten angewiesen werden. Erzeugungsanlagen, die über eine installierte Netto-Nennleistung in Höhe von 420 MW el oder mehr verfügen (unabhängig von der finalen Ausweisung durch die BNetzA bzgl. einer eventuellen Systemrelevanz), zählen zur nationalen kritischen Infrastruktur.